07.07.2018, News

Mittelaltertag an der Schola Thomas Morus

Am 15. und 22. Juni 2018 fanden an der Schola Thomas Morus erstmals Mittelaltertage für die 5. Klasse statt. Damit wurde die Epoche des Mittelalters, mit der sich die Schülerinnen und Schüler im letzten Schuljahr in den Fächern Literatur, Kunst und Geschichte intensiv auseinandergesetzt hatten, zu einem würdigen Abschluss gebracht

Manessische Liederhandschrift Der Tag wurde mit der Betrachtung eines kunstgeschichtlichen Juwels eingeleitet. Mag. Borioni, Professor für Kunstgeschichte, tastete sich anhand der herrlichen Miniaturen der Manessischen Liederhandschrift an den Geist der Welt der hochmittelalterlichen Dichtung heran: Ehrfurcht vor Gott, Minnedienst, ritterliche Tugenden und Ehre entfalteten sich in Wort und Bild vor den Augen der Schüler. Welche Beziehung haben die dargestellten Figuren zueinander? Welche Symbolik offenbart sich z. B. anhand der Darstellung eines Pfaues? Was verraten uns Wappen? Was vermittelt uns eine zum Himmel flatternde Schriftrolle und eine, die vom Künstler in seiner Miniatur nur skizziert, jedoch nicht vollständig ausgeführt wurde? Diesen und anderen Fragen wurde nachgegangen. Anhand der Analyse der Miniaturen entdeckten die Jugendlichen Proportions- und Konstruktions-Prinzipien, die den Kompositionen zugrunde liegen: Goldener Schnitt, Symmetrie und Asymmetrie, horizontale und vertikale Bildaufteilungen, dreieckige und ovale Anordnungen usw. wurden ergründet. – Beginnend mit dem feierlichen ‚M‘ in der hieratischen Komposition des thronenden Kaisers Heinrich VI., anhand der Überlegungen von Klaus Humpert und Martin Schenk, vertiefte sich die Analyse schließlich bis hinein in geometrisch-mathematische Grundlagen des Bildaufbaus, die durch Konstruktionsskizzen veranschaulicht wurden. Geschichtliche Entwicklung des Königtums – Studium von Quellentexten Im Anschluss referierte Reinhild Rössler, MA, Praedoc-Assistentin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Wien, über das Königtum. Sie führte aus, dass das Mittelalter von der großartigen Idee des universalen Ordnungsgefüges alles Seienden, dessen Ursprung, Mittelpunkt und Gipfel Gott ist, fasziniert war. In jener Zeit entstand die Vorstellung, dass sich politische Herrschaft durch ihre Einfügung in die Ordnung Gottes legitimiere. Könige würden ihre Legitimität von Gott erhalten, weshalb ihre Aufgaben auch die Verteidigung des Christentums und der Schutz des Friedens seien. Ihre Erhebung war mit kirchlichen Formen wie etwa Salbung und Krönung verbunden. Ihre Herrscherinsignien waren von christlicher Symbolik geprägt, wie beispielsweise die Reichskrone, die heute in der Schatzkammer der Wiener Hofburg als Kostbarkeit ausgestellt ist. Die Kronenplatten der achteckigen Krone zeigen die Könige David und Salomon und den Propheten Jesaja vor dem kranken König Hiskija, dem Gott Gesundheit und ein längeres Leben schenkte, sowie Christus als „König der Könige“ mit der Inschrift: „Per me reges regnant“ - „Durch mich herrschen Könige“. Im Kronenbügel kann man die Ambition der Herrschaft über den Erdkreis, „urbi et orbi“, erkennen, während das Kreuz der Krone den Kaiser selbst unter die Gnade und Obhut Gottes stellt. Die jeweils zwölf Edelsteine auf der Stirn- und Nackenplatte weisen symbolisch auf das himmlische Jerusalem hin, das Endziel der Geschichte, das in der Heiligen Schrift wie ein imposantes Schmuckstück eines göttlichen Juweliers dargestellt wird (Offb. 21, 9-21).  Die geschichtliche Entwicklung des Königtums wurde anhand dreier Quellentexte erörtert (Brief Papst Gregors des Großen an Bertha, die Königin von Kent; Ausschnitt aus der Vita Caroli von Einhard; Ausschnitt aus dem Epitaph der Kaiserin Adelheid, geschrieben von Odilo von Cluny). Nach der Lektüre der Texte bescheinigte die Referentin den Schülerinnen und Schülern der 5. Klasse eine ausgezeichnete historische Methodenkompetenz. Historisches Fechten Nach einer kleinen Stärkung widmete sich die Klasse ganz dem historischen Fechten. Dafür konnte die Schule zwei Trainer von INDES, Simon Rieger und Thomas Hofer, an der Schola Thomas Morus willkommen heißen. Der Verein INDES hat es sich zum Ziel gesetzt, historische europäische Kampfkunst wieder zum Leben zu erwecken. Auf der Grundlage historischer Fechtbücher werden lange vergessene und oft unterschätzte Kampftechniken mit dem langen Schwert, dem langen Messer, dem Dolch sowie weiteren Waffen als auch im waffenlosen Ringen erforscht, trainiert und unterrichtet. Nach einer kurzen theoretischen Einführung erhielten die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, eine auf Mittelhochdeutsch verfasste Beschreibung einer Kampftechnik aus einem Fechtbuch des Fechtmeisters Johannes Liechtenauer, der als Begründer der deutschen Fechttradition mit dem Langen Schwert gilt, aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, zu rekonstruieren und mit hölzernen Trainingsschwertern nachzustellen.  Besuch der Handschriftensammlung des Stiftes Heiligenkreuz Nach einer Einführung in die Geschichte des Stiftes Heiligenkreuz durch P. Roman Nägele, OCist besuchte die 5. Klasse die Handschriftensammlung des Stiftes. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren, dass bis zur Erfindung des Buchdruckes durch Gutenberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts Texte ausschließlich in handschriftlicher Form – zunächst nur auf Pergament, ab dem 14. Jahrhundert immer öfter auf Papier – erfasst und überliefert werden konnten. Somit stellen Handschriften die einzigen Überlieferungsträger dar, die es uns in der Gegenwart ermöglichen, sowohl die Geschichte der christlichen als auch der profanen Literatur – und damit der Geistesgeschichte und Wissenschaftspflege seit der Antike – nachzuvollziehen und zu untersuchen. Die mittelalterlichen Handschriften in Heiligenkreuz legen ein beeindruckendes Zeugnis der Schreibtätigkeit der Zisterzienser im Wienerwald ab. Schon bald nach der Gründung des Klosters um 1133 waren kompetente Mönche im Einsatz, die für die Anfertigung der Messbücher und die Kopien der für die theologischen und philosophischen Studien erforderlichen Schriften sorgten. Die Schüler hatten auch die Möglichkeit, ein originales Werk über die monastische Frömmigkeit aus dem 12. Jahrhundert, ein Missale aus dem 13. Jahrhundert und die Schedelsche Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert zu bestaunen.  An den beiden Tagen konnte sich die 5. Klasse mit dem Mittelalter, jener harmonisch strukturierten und gegliederten Welt mit einem heiligen, alle Dinge in ihrer Bahn haltenden, alle Kronen auf Gott gerichteten Zentrum, geeint und geleitet durch den christlichen Glauben, erneut auseinandersetzen. Da die grandiose Epoche des Mittelalters gerade in Zeiten der Undifferenziertheit und der geistigen und kulturellen Erosion eine vertiefende Betrachtung verdient, wird der Mittelaltertag in der einen oder anderen Form auch in den nächsten Jahren stattfinden.