03.06.2019, News

Geist und Materie im Einklang: zu Besuch in der Welt des Kunst-Handwerks

Seele, Geist und Körper bilden, so lehrt die Kirche, eine Einheit. Wenn sie getrennt werden, so nennen wir es Tod; um wieder ganz zu sein müssen die Menschen daher, am Ende der Zeiten, die Auferstehung des Leibes erfahren. Auch bei den Aufgaben, die der Mensch auf Erden erfüllt, gilt es Seele, Geist und Körper im Einklang zu bringen, um voll im Leben zu stehen, so wie es Gott für unsere Natur vorgesehen hat; sehr schön wird diese Ganzheitlichkeit in den Aufgaben des Handwerks spürbar und genau dieser Ganzheitlichkeit ist die STM bei ihrer Exkursion begegnet.

Die fünfte und die sechste Klasse trafen sich am 22. Mai pünktlich um 9:00 Uhr am Karlsplatz. Das erste Ziel der von Prof. Borioni und Prof. Mumelter begleiteten STM-Oberstufe war das Wiener Atelier von Clemens Maria Fuchs, Enkel des berühmten Wiener Malers Ernst Fuchs. In einem eleganten Haus im Stil des Historismus, wenige Gassen hinter dem Karlsplatz, ging es die Wendeltreppe hinauf. An der geöffneten Wohnungstüre erwartete sie bereits der sympathische junge Künstler. Über die Schwelle getreten tauchten die Schülerinnen und Schüler in eine andere Welt ein: die Wände der Räume, farblich abgestimmt, waren übersät mit Werken des Künstlers, mit Gemälden und Zeichnungen, elegante Möbel liebevoll mit Büchern, Statuetten, Accessoires maßvoll belegt, jeder Gegenstand sprach zum anderen und zeugte vom Geist des Künstlers, der Seele dieses kleinen Universums. – Der Geist drückt sich in der Materie aus und die Materie hinterlässt wiederum ihre Spur in der Seele. – So wichtig ist daher die Schönheit des Materiellen um uns, um Schönheit in die Seele einzuprägen, um diese zu erheben und zu beflügeln, Energien zu wecken und zu inspirieren. Eine Erkenntnis, der auch die STM in ihrem Schulalltag Rechnung trägt.

Die Jugendlichen wurden eingeladen im Wohnzimmer Platz zu nehmen und sich an den vorbereiteten Knabbereien und Getränken zu bedienen. Anschließend erläuterte der Maler in einer kurzen Powerpoint-Präsentation wichtige Grundlagen zur Maltechnik: die Kunst der Perspektive und die Arbeit mit Raster und Sehhilfen, Bildaufbau und Proportion, das Vorzeichnen mit Kohle und das direkte Vorskizzieren in Öl, das Spiel von Hell und Dunkel zum Zweck der plastischen Modellierung dargestellter Körper, die Technik das Model neben der Leinwand zu platzieren und zu portraitieren, und vieles mehr. Mittels historischer Beispiele und eigener Studien wurde das Gesagte greifbar.
In seinem Vortrag betonte Fuchs die Wichtigkeit, die traditionellen Techniken zu lernen und sie weiterzugeben, um unsere Zivilisation auch in den künftigen Generationen am Leben zu erhalten. Er berichtete über die großartige Leistung seiner Ausbildner, zu allererst seines Vaters Michael in dessen Lehre er von klein auf ging - ähnlich wie die Maler der Vergangenheit ihr Handwerk in der Bottega ihres Meisters lernten – und anschließend des Malers Charles H Cecil in Florenz (www.charlescecilstudios.com): Die Energie des Ortes und der gleichgesinnten Menschen weckten die Kräfte des Geistes und förderten den Werdegang des Malers.
Fuchs betonte die Wichtigkeit, den Ausdruck der Seele des Menschen in die jeweilige Portrait-Darstellung einzuhauchen. Der Mensch, das Abbild Gottes, wird somit selbst zu einem Nachahmer (Nachahmer nicht Nachäffer) Gottes, wo er im Auftrag und nach dem Willen Gottes erschafft. So wie Gottes Werk die Schöpfung ist, die Natur, so ist des Menschen Schöpfung die Kultur. Der schöpferische Akt des Menschen ist Auftrag Gottes. Für den Werdegang der Veredlung dieser Fähigkeit wies Fuchs die Jugendlichen auf die Wichtigkeit der Beobachtung und des Studiums der Wirklichkeit hin, die Analyse, und auf die unerlässliche Notwendigkeit des emsigen täglichen Übens.
Dem theoretischen Teil folgte der praktische: Im Arbeitsraum stellte der Künstler seinen Gästen die Farben und Dispersionsmittel vor, die zahlreichen Pinsel, seine große Palette zum Anrühren der Farben und die Staffelei. Er präsentierte das Anrühren der Farben und anschließend veranschaulichte er seine Arbeitstechnik anhand der Fortführung des Malens an einer Ölskizze von Benjamin Franklin. Die Schülerinnen und Schüler hingen wie Trauben um die Staffelei und waren hingerissen von der Kunstfertigkeit und Leichtigkeit der Pinselstriche des Malers bei seinem schöpferischen Akt, die Wirklichkeit in einem Gemälde zu spiegeln, die Ausstrahlung der Qualität von Kunstwerk und Arbeitsmaterial faszinierten die Jugendlichen: Die Gerüche der Materialien, die Beschaffenheit von Formen und Oberflächen regte alle Sinne an, auch dies eine ganzheitliche Erfahrung, im Gegensatz zu fahler Einseitigkeit zeitgenössischer digitaler Medien.
Den künstlerisch interessierten Schülern bot Fuchs an, Kurse bei sich zu besuchen, um die eigenen Fähigkeiten zu vertiefen (www.clemensmariafuchs.net). Einige Interessierte fanden sich bereits.

Im Anschluß zur praktischen Präsentation machten sich die Schülerinnen und Schüler auf den Weg zur Karlskirche, dem barocken Juwel Kaiser Karls VI., am Rande der Wiener Innenstadt. Hier stellte Fuchs sein Altargemälde in der Agneskapelle vor. Das Bild zeigt die hl. Agnes von Böhmen, die 1233 den Orden der „Kreuzherren mit dem Roten Stern“ in Prag gegründet hat, welcher seit 1738 die Seelsorge der Wiener Karlskirche innehat. Des Weiteren ist auf dem Bild der hl. Serapion, der erste Märtyrer des Mercedarier-Ordens nördlich der Alpen zu sehen, sowie ein Kreuzherr. Die Figuren stützen den vom Kreuz abgenommenen Heiland und bilden mit ihm eine Pietà-Szene. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, spricht der Herr – daran haben sich die dargestellten Heiligen des Altargemäldes auf beeindruckende Art in ihrem Lebenswerk gehalten.
Anschließend durften die Jugendlichen mit dem Lift in die quasi himmlische Sphären der Karlskirche hinauffahren, zur Besichtigung der Kuppelfresken, ein großartiges Werk Johann Michael Rottmayrs. Die Fenster der Kuppel der Kirche boten zudem einen herrlichen Blick über die Stadt.

Nach einer kurzen Pause fuhren die beiden Klassen weiter in den Wiener Bezirk Währing, in die Gymnasiumstraße 32, zum Handwerksbetrieb „Gerhard Wieser Shoe Design“ (wieser-shoe-design.at), einem mit viel Liebe geführten Familienbetrieb für Maßschuhe höchster Qualität. Der Handwerksmeister, Schuhmachermeister, Orthopädieschuhmachermeister und 12-facher Goldmedaillen Gewinner, Gehard Wieser, führte die Jugendlichen in einen anderen Aspekt handwerklicher Arbeitswelt ein. Auch das Werk Wiesers bedarf der Einbindung des ganzen Menschen, nämlich von Geist, Seele und Leib des Schuhmachers, der auch in diesem Fall als Schöpfer, als Künstler tätig ist, welcher Materie eine Form gibt, ihr seinen Geist einprägt. Sein Werk trägt, in seinem Fall wortwörtlich, den Menschen durchs Leben. Maßschuhe bekleiden den Fuß, das am weitesten vom Kopf, dem Thron des Geistes, entfernte und vielleicht deshalb oft sehr vernachlässigte Glied des Menschen, welches allerdings eine hohe Verantwortung für die Gesundheit des gesamten Körpers trägt und auch viel auszusagen vermag über Stil und Charakter eines Menschen. Wieser betonte die Wichtigkeit, gerade beim Schuh, so wie auch bei allem, was den Menschen vom kalten Erdboden trennt, nicht an Qualität zu sparen. – Er berichtete über eine Kundin, die von klein auf gewöhnt war, Maßschuhe zu tragen. Sie besaß nie einen „Schuhpark“, wie dies heute in Zeiten billiger moderner Massenproduktion Mode geworden ist, sondern lediglich zwei Paar Schuhe, ein Paar elegante Schuhe und ein Paar Alltagsschuhe, die sie von Zeit zu Zeit ersetzte. Als sie neue Schuhe anlässlich ihres Geburtstages bei Herrn Wieser in Auftrag gab, musste er kurz inne halten, als sie ihm ihr Geburtsjahr mitteilte: 1915. Hundert Jahre alt, war sie ihrer verinnerlichten Haltung treu geblieben, Qualität hochzuschätzen, und konnte die Früchte ihrer Achtsamkeit in Form guter Gesundheit ernten.
Wiesers Werk bedarf der Zeit, viel Zeit, es wächst allmählich heran, von der Hand des Meisters sorgfältig geführt, wie ein Kind. Wo ein industriell gefertigter Schuh in zwanzig Minuten fertig montiert ist, benötigt Wieser Wochen, um ein Paar zu formen. Zunächst wird der Fuß des Trägers individuell vermessen und die Form in Kunststoff gedrückt und schließlich abgegossen, um einen passenden Leisten zu kreieren; der Schuh soll schließlich wie eine zweite Haut des Trägers sein, organisch mit ihm verbunden, quasi ein äußerlicher Teil seines Körpers werden. Gordian durfte als Model einen Fuß zur praktischen Vorführung bereitstellen. Wieser präsentierte wie aus einem Gedanken, dem Konzept der Idee der Gestalt des zukünftigen Schuhs, mittels eines Bozzettos aus Karton-Teilen, Schablonen gefertigt werden, die – wie bei der Anfertigung eines Maßkleids – der Formgebung der einzelnen Elemente des Schuhs dienen. Geist formt Materie. Die geschulte Hand des Künstlers formt das Leder, geführt durch den Geist. Wieser veranschaulichte auch dies anhand einer praktischen Vorführung an seinem Arbeitstisch.
Auch die Arbeit mit Leder ist, wie die Malerei, eine zutiefst sinnliche Erfahrung. Die Schülerinnen und Schüler durften dies im physischen Kontakt mit dem Material, dem Duft, der Weichheit und der Oberflächenbeschaffenheit verschiedener Sorten von Leder erfahren, eine einzigartige Erfahrung für alle, die noch nie zuvor in Kontakt mit diesem Handwerk gekommen waren.

Am Ende der Vorführung bedankte sich die Oberstufe beim Meister und seiner Gattin für die spannende Einführung in das Kunsthandwerk. Der kurz zuvor eingetroffene Prof. Farmer überreichte eine Packung Pralinen. Anschließend fuhren die beiden Klassen zurück zur Innenstadt. Die sechste Klasse ließ gemeinsam mit Prof. Farmer den Tag beim Burger-Essen im TGI Fridays ausklingen, die fünfte Klasse spazierte hingegen zum Stephansplatz und genoss eine italienische Pizza im Restaurant Bizi.
Um 15:00 Uhr endete die erlebnisreiche Exkursion.